„Der deutsche Perfektionismus ist Gift“.
Das schreibt Sascha Lobo in seiner erhellenden Bestandsaufnahme zur digitalen Transformation in der deutschen Wirtschaft.
Seine These: Wenn es im Unternehmen keine Fehlerkultur gibt, wagen sie nicht, zu experimentieren:
„In einer Zeit, in der sich Gesellschaft und Technologie so schnell wandeln sind digitale Experimente notwendig, um die ökonomische Zukunft ausloten zu können. Aber Experimente sind sinnlos, wenn sie wegen Perfektionismus nicht scheitern dürfen. Wenn man nicht von Beginn an ein mögliches Versagen einkalkuliert, lässt sich daraus nichts lernen.“
Experimentieren und daraus lernen. Was Lobo hier für die großen Themen der Digitalisierung anmahnt, lässt sich 1:1 auch auf andere Bereiche übertragen. Auf Bereiche, in denen Mut zum Experiment und zu Veränderung über die Zukunft von Unternehmen entscheiden werden.
Das Marketing ist so ein Bereich: Er ist zwar in vielen Unternehmen bereits zu großen Teilen digital, aber immer noch von altem Denken geprägt.
Perfektionismus und Ingenieursmentalität könnten auch hier verhindern, dass sich das klassische produktzentrierte Marketing hin zu einem kundenzentrierten Marketing entwickelt.
Perfektionismus zeigt sich im Marketing unter anderem in zu hohen Anforderungen an den Content.
Content ist der Treibstoff modernen Marketings. Er muss perfekt sein, bevor er das Licht des Marktes erblickt. Gleichzeitig kommt es darauf an, Content schnell und gezielt im Markt zu platzieren, wenn man den Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Konsumenten für sich entscheiden will. Ein Dilemma, das sich kaum auflösen lässt, denn Qualität kostet Zeit und Geld:
Hier lohnt es sich, umzudenken: Wer schnell sein will, muss mit Content arbeiten, der nicht perfekt ist, sondern gerade so gut ist, dass er den Anforderungen der Zielgruppe gerecht wird. Dass er Botschaften transportiert und Konsumenten aktiviert. Die Qualität orientiert sich in diesem Fall an dem, was nötig ist, um potenzielle Kunden zu erreichen, und nicht an dem, was möglich ist.
In Anlehnung an das Prinzip des Lean Product Development nennen wir solche Inhalte „Minimum Viable Content“ oder „Lean Content“. Er stellt die goldene Mitte zwischen „zu wenig“ und „zu viel“ dar:
Lean Content braucht Mut zur Lücke. Und die Offenheit, Content nicht als fertiges Produkt zu verstehen, das vor dem Launch marktreif sein muss.
Du solltest deinen Content vielmehr als Plattform für den Dialog mit der Zielgruppe verstehen. Mit dem Ziel, mehr über diese zu erfahren und das Marketing besser am tatsächlichen Bedarf ausrichten zu können.
Es geht also darum, Content „mit dem Ohr am Markt“ zu entwickeln, statt am Reißbrett des Marketings. Und das mit möglichst geringem Aufwand und geringem Risiko.
Um Content Marketing nach dem Lean-Prinzip zu betreiben, müssen wir eine Reihe alter Marketing-Zöpfe abschneiden:
Stattdessen sollten wir Marketing neu denken:
Doch wie genau soll das gehen? Hier zeigen wir dir, wie du klein anfängst und Schritt für Schritt dem „perfekten“ Content für deine Zielgruppe näher kommst.
Wenn du nicht genau weißt, was deine Zielgruppe braucht oder von dir erwartet, dann macht es wenig Sinn eine große Strategie am Reißbrett zu entwerfen und darauf zu hoffen, dass sich deine Annahmen mit der Realität decken. Denn wenn du falsch liegst, hast du unter Umständen viel Zeit und Ressourcen für bloße Annahmen verbrannt.
Steige deshalb schlank in die Planung ein. So kannst du schnell belastbare Erkenntnisse über die Zielgruppe und deren Bedarf sammeln. Und zwar direkt im Markt, aus erster Hand. Für den Start genügt eine erste grobe Vorstellung von deiner Zielgruppe, die du in einfachen Buyer Personas definierst.
Auch hier gilt: nur so detailliert wie nötig, um Inhalten und Botschaften des Marketing eine Richtung zu geben:
Der Feinschliff erfolgt dann schrittweise im Live-Betrieb.
Inhalte verstehen wir im Lean Content Marketing nicht als fertiges Produkt, sondern vielmehr als eine Einladung an die Zielgruppe: zum Dialog mit dem Unternehmen, aber auch dazu, an der Weiterentwicklung des Contents aktiv mitzuwirken.
Am Anfang steht dabei der „Minimum Viable Content“, der darauf abzielt, mehr über die Zielgruppe zu erfahren. Daraus entsteht dann schrittweise ein hochwertiger Content, der den Anforderungen der Zielgruppe maximal entspricht.
Die Bloggerin Sacha Chua hat diesen Prozess für ihren Blog sehr treffend skizziert:
In der Praxis eignet sich ein Blog sehr gut dazu, Inhalte nach dem Lean-Prinzip zu entwickeln: Du veröffentlichst einen einfachen Artikel, der deine wesentlichen Botschaften enthält. Er ist jedoch inhaltlich noch recht grob. Das lädt dazu ein, zu ergänzen, zu kommentieren oder zu korrigieren. Um deine Leser zu aktivieren, forderst du sie auf, mitzuwirken und ihre Meinung zu äußern. Daraus können Dialoge entstehen, aus denen du unter Umständen mehr lernen kannst, als aus einer aufwändigen Marktforschung.
To-do:
Kein Content ohne Distribution! Das versteht sich im Grunde von selbst. Denn Inhalte entfalten erst dann ihre volle Wirkung, wenn sie im Markt verbreitet werden. Sie müssen die Zielgruppe dort erreichen, wo diese sich informiert.
Dennoch verfügen nur etwa 30% der Marketer im B2B über eine dokumentierte Strategie. Das heißt: Nur jeder Dritte hat einen konkreten Plan, wie Content im Markt verbreitet werden soll. Hier ist ein Umdenken erforderlich.
Wer viel über seine Zielgruppe erfahren will, muss genau sie auch erreichen. Das bedeutet nicht, dass du mit viel Aufwand alle Kanäle bespielen musst, die es gibt.
Vielmehr gilt auch hier: Klein anfangen. Konzentriere dich auf jene Kanäle, die für deine Zielpersonen besonders wichtig sind. Erst, wenn du dort Erfahrung gesammelt hast, solltest du dich auf neues Terrain wagen.
Tipp: Wenn du nicht sicher bist, ob du deine Zielgruppe in einem bestimmten sozialen Netzwerk erreichen kannst, nutze bezahlte Werbung, um es zu testen. Das gleiche gilt für Fachmagazine: Bevor du viel Zeit in PR steckst, solltest du mit kostengünstigen Werbeanzeigen das Potenzial für dein Marketing prüfen. Wichtig ist dabei, dass du deinen Content bewirbst und nicht dein Produkt. Wenn du eine gute Resonanz auf deine Ads bekommst, kannst du im nächsten Schritt daran gehen, Inhalte nach dem Inbound-Prinzip zu „sähen“.
To-do:
Für viele Unternehmen ist Erfolgsmessung „Neuland“. Sie tun sich schwer damit, das richtige Maß im Umgang mit Kennzahlen zu finden.
Dabei gilt nicht selten die Devise „ganz oder gar nicht“ – Big Data oder Blindflug. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte. Dazu gehört Mut, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Für den Start genügt ein einfaches System von Kennzahlen, das wir in einer „Lean Content Scorecard“ zusammengefasst haben:
„Lean“ steht hier für ein schlankes System aus wenigen, aber aussagekräftigen Kennzahlen. Dieses kannst du mit der Zeit laufend verfeinern. Grundlage sind die Erfahrungen, die du im Live-Betrieb sammelst.
Wichtig ist dabei, dass du die Kennzahlen zur Vermarktung von Beginn an in Kontext zum Kaufprozess setzt! Denn gerade Inhalte, die sich beispielsweise in sozialen Medien gut verbreiten, tragen möglicherweise wenig zum Verkauf deiner Produkte bei.
Wie erfolgreich dein Content letztlich ist, zeigt sich also erst in der Gesamtbetrachtung aller Ebenen der Scorecard: Nutzung, Reichweite, Kontakte und Verkauf.
To-do:
Lean Content Marketing startet nicht bei „perfekt“, sondern entwickelt Inhalte, Prozesse und Methoden schrittweise direkt im Markt.
Dazu ist in vielen Unternehmen ein Umdenken erforderlich. Habe deshalb den Mut zu experimentieren. Betrachte Fehler als gut und wertvoll, denn nur aus ihnen kann man lernen.
Verstehe Content als offene Plattform für den Dialog mit deiner Zielgruppe. Starte mit Inhalten, die gerade gut genug sind, um ins Gespräch zu kommen. Und nutze das Feedback deiner Zielgruppe, um dein Content Marketing schrittweise zu optimieren.
Fange klein an. Und komme groß raus.
36 Kommentare
Und natürlich, der Content kann doch jederzeit erweitert werden.
Schöne Grüße
Paul
danke dir!
Ja, da bin ich voll bei dir. Da muss man manchmal echt kreativ werden. Momentan nehmen wir Blogartikel und machen daraus E-Books. Klappt wunderbar!
ein sehr schöner Artikel. Gerade der angesprochene Perfektionismus erlöscht oft schon die besten Ideen im Keim. Da ist der Artikel wirklich eine super Anleitung, aus dem Gewöhnlichen mal auszubrechen.
Viele Dank & LG
Stephan
Liebe Grüße
Eugen
da man ja wirklich sehr selten das wort danke in der heutigen zeit verwendet, möchte ich es gerade hier benutzen und sage´´ DANKE´´ für den guten Beitrag!
Ich finde selbst, das man sich manchmal viel zu viele Gedanken macht ob der Content jetzt zu 101 % stimmt. Manchmal möchte der leser auch einen gut geschriebenen text der ihn einfach abholt. Und nicht alles abgehackt und mit der Studie und dem Vergleich belegt haben.
Grüße Anton
Jeder fängt mal klein an und jeder macht mal Fehler. Fehler gehören dazu ! Wichtig ist das man aus diesen lernt. Nur dann kommt man auch hoch .
Sehr schöner Beitrag
Zeitnaher und kundenorientierter Content ist der A und O, nicht die perfekte Selbstdarstellung.
Ich frage mich gerade, inwieweit Eure Tipps auch für Einzelunternehmer gelten, die keine physische Wäre verkaufen. Konkret bei mir: Ich habe eine Hypnosepraxis und "verkaufe" nur mich selbst in Form Von Hypnosesitzungen. Wie ist Eure Meinung? Ich vermute, dass dürfte auch viele andere interessieren, letztlich alle reinen Dienstleister.
Danke und Gruß
Christoph
Beim Aufbau unseres Blogs habe ich immer das Gefühl irgendwas noch perfekter machen zu wollen. Egal ob Design oder Inhalte.
Liebe Grüsse
Sylvia
http://www.mirrorarts.at
beim Punkt "Entwickle die Strategie mit dem Ohr am Markt" habe ich noch einen einfachen, praktisch umsetzbaren Vorschlag:
das Befragen der (potenziellen) Kunden/Empfänger.
Das kann noch in der Entwicklungs-/Konzeptionsphase von Kampagnen/Startups o.ä. passieren - und sollte, wie oben beschrieben, auch bei jedem Beitrag fortgeführt werden.
Aber richtig hilfreich sind durchdachte Befragungen, an Buyer Personas ausgerichtet.
Die Befragungen müssen und sollten nicht lang sein. Aber wenn man seine Zielgruppe kennt, unter Umständen sogar "Archetypen" von (potenziellen) Kunden/Empfängern hat, dann kann man diese Personen ganz offen und ehrlich die Fragen oben stellen: In welchen Kanälen und Medien hältst Du Dich auf und informierst Du Dich? Warum und wie oft tust Du das. Was würdest Du Dir wünschen... usw.
Die Ergebnisse sind sehr zielführend und näher am Markt als das eigene Bauchgefühlt. Der Wurm muss schließlich dem Fisch schmecken, nicht dem Angler!
Viele Grüße!
da kann ich dir nur zustimmen! Einfach mal einen Kunden seines Vertrauens anrufen und fragen. Oder die Gelegenheit auf einer Messe oder Konferenz nutzen. Im persönlichen Gespräch bekommt man leichter ein Gespür dafür, wie der andere so "tickt" und wo die Probleme im Alltag sind.
Liebe Grüße
Tanja
das ist ja mal ein ausführlicher Artikel. Ganz spannend ist für mich die Frage ob der Ansatz bei traditionellen Unternehmen funktioniert. Ich denke schon, nur ist da ein umfassendes Umdenken notwendig. Es bedarf einiger Überzeugungskraft der Verantwortlichen um das durchzusetzen. Es ist aber ein spannendes Thema, welches ich in meinem Blog mal testen werde.
Eine der Herausforderungen liegt sicher darin, sich im Unternehmen Freiräume für Experimente zu schaffen. Mit der Lean-Idee bleibt das Risiko beherrschbar. Das macht die Methode auch für traditionelle Unternehmen so interessant.
Lass uns wissen, wie es dir mit dem Lean-Blogging ergangen ist!
Viele Grüße
Sascha
mit "Lean Content" hast du sogar die Chance beides zu erreichen: Content, der Bestand hat und zudem rechtzeitig im Markt ist, um von den Schlagzeilen zu profitieren. Bin gespannt, welche Erfahrungen du mit MVP machst!
Viele Grüße
Sascha
Werde das Lean Mindset bei der Contenterstellung für meine Webseite auf alle Fälle berücksichtigen!
wir freuen uns, wenn wir dich in Sachen "Lean Content" etwas inspirieren konnten. Lass uns wissen, wie dieser Ansatz für dich funktioniert hat!
Viele Grüße
Sascha
in diesem Kontext habe ich noch gar nicht an das Lean Mindset gedacht. Beim Aufbau von Businesses war mir das Lean Mindeset immer bewusst, aber nicht beim Erstellen des Contents. Danke für den großartigen Input!
MFG Philipp
sorry für die späte Antwort...
Stimmt, das Lean-Startup-Prinzip ist ursprünglich für den Markteintritt von Unternehmen oder Produkten entwickelt worden. Aber wenn man Content als Produkt betrachtet, ist der Schritt ja gar nicht so groß, oder? ;-)
Viele Grüße
Tanja
MFG Philipp
LG, Tanja
Sehr guter Artikel, der mich direkt abgeholt hat. Ich habe selbst auch das Problem, dass ich häufig zu viel Zeit investiere um den "perfekten" Content zu verfassen.
Dabei sollte man sich immer vor Augen führen, dass der letzte Feinschliff am wenigsten für den Leser bringt. Dafür aber am meisten Zeit kostet.
schön, dass dir der Artikel gefällt! Ja, seinen Perfektionismus abzulegen, ist nicht leicht. Ich weiß, wovon ich Rede. ;-) Aber ich hoffe, wir konnten dir ein paar Anregungen geben?
Liebe Grüße
Tanja
Ressourcen sinnvoll einsetzen, genau darum geht es. Schön, dass du das richtige Maß für dich gefunden hast. :-)
Liebe Grüße
Tanja
Da gibts eine wichtige Ausnahme: Wenn man selbst Content als Produkt anbietet (was ich tue), dann kann man sich nur minimale Abstriche am perfekten Content leisten, den man selbst publiziert.
Die erste Grafik (zu wenig > zu viel) stimmt natürlich trotzdem – aber das Minimum an Qualität liegt halt nur ein paar Zentimeter unterhalb des Maximums. :-)
deine Bedenken verstehe ich gut - bin ja selbst Texter! Da ist jeder Blogpost in eigener Sache immer auch eine Arbeitsprobe. Aber: Was bringt's dir, wenn du stundenlang am perfekten Text feilst, damit aber nicht den Nerv deines Publikums triffst? Das kostet dich nur Zeit und Geld. Daher brauchen auch wir Mut zur Lücke. Mut, mit Content zu starten, der nicht perfekt ist, sondern "ausreichend gut", um die Zielgruppe zu erreichen.
Liebe Grüße
Tanja
Schöne Grüsse aus der Freidenker Galerie
Rainer Ostendorf
Was denkst du?